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Erntedank
Autorin: Elisabeth Schiffkorn

Der Artikel erschien im
"Magazin Neues Volksblatt"
Nr. 38/91 vom 20. September 1991; S. 4


   

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Der Körper wurde aus einer Rübe geschnitzt, der Kopf bestand aus einer Kartoffel, als Füßchen dienten kleine Hölzer und das ganze Gebilde war rundherum mit Federn geschmückt. Um den Hals trug diese Stadelhenne einen Zettel mit einem Spottvers, der den langsameren Dreschern des benachbarten Hofes auf diese Weise überbracht wurde:
„Wir schicken euch von unserer Tenne eine fette Stadelhenne und möchten euch raten, sie gut zu braten in Schmalz und Speck. Heut legen wir die Drischeln weg ...“



Der Herbst war nach den anstrengenden Feldarbeiten die bevorzugte Jahreszeit für derartige Scherze, die meist alle, wie auch eine Reihe anderer brauchtümlicher Handlungen, bereits der Vergangenheit angehören. Das Einbringen der Ernte und das Einwintern wurden brauchmäßig mit Dank- und Bittopfern und kultischen Feiern umrahmt. Die vollen Scheunen und Vorratsbehälter stimmten die Menschen zuversichtlich, ihr Überleben war wieder für das nächste Jahr gesichert.

Ein wenig Aberglauben war stets mit im Spiel. So wurden die letzten Halme auf dem Feld stehen gelassen,„damit der Winter auch etwas hat“ oder„damit der Segen auf dem Feld ruhen bleibt“. Auch wurden nicht alle Ähren eingesammelt. Es gehörte zu den Privilegien der Armen, die letzten Reste des Brotgetreides von den Äckern aufzulesen, um auf diese Weise ihren Anteil vom reichen Erntesegen zu erhalten.

Der Glaube war tief verwurzelt, dass dem allzu Habgierigen die nächste Ernte misslingen würde. Denn in früheren Zeiten sahen sich die Menschen in einer unmittelbaren Abhängigkeit von den Naturvorgängen. Ein einziges Gewitter konnte die Nahrung für ein ganzes Dorf in Sekunden vernichten und brachte Hunger und Not mit sich.

Das Wetter kann der Mensch noch nicht beeinflussen, doch heute gibt es wirkungsvolle Versicherungen gegen Umweltkatastrophen aller Art. Mängel in der Bodenbeschaffenheit können mit chemischen Mitteln ohne allzu großen Arbeitsaufwand korrigiert werden, und auch mit Hilfe der neuen Kommunikationsmittel beherrscht der Bauer die Natur, alles erscheint für die modernen Menschen machbar. Auch durch die technisch ausgereiften landwirtschaftlichen Maschinen und die erfolgreiche Forschungsarbeit der Saatgutindustrie wurden die Bauern weitgehend unabhängig von Umwelteinflüssen. Zumindest in Europa braucht niemand mehr zu hungern. Die Welt scheint beherrschbar, zumindest so lange, bis sich die Naturgewalten in Form von Hochwässern und Murenabgängen wieder einmal in Erinnerung bringen ...

Die Bewohner der Städte haben sich von dem Geschehen des Wachsens und Gedeihens noch ein Stück weiter entfernt. Bis in die Jahre des Wirtschaftswunders war es oft lebensnotwendig, auch im kleinsten Schrebergarten eigenes Obst und Gemüse anzubauen. Heute zaubert der Griff in die Tiefkühltruhe die raffiniertesten Fertiggerichte auf den Tisch. Tropenfrüchte gehören zum selbstverständlichen Nahrungsangebot, doch ihr Heranreifen ist in unseren Breiten kaum nachvollziehbar. Warum sollte der Käufer einer Konservendose auch noch für deren Inhalt dankbar sein, er hat sie doch mit seinem hart verdienten Geld an der Supermarktkasse erworben.

Die Katastrophen und Schicksalsschläge, die einst mit elementarer Gewalt über die Menschen hereinbrachen, schienen unabwendbar, und ein Auflehnen dagegen konnte die finsteren Mächte nur noch mehr in Zorn versetzen. Dieses Denken war weit verbreitet. Umso größer war das aus dem Herzen kommende Bedürfnis, nach der eingefahrenen Ernte den Göttern für die vollen Scheunen Dank zu sagen. Diese Überlebensstrategie der Menschen lässt sich bis in graue Vorzeiten zurückverfolgen. Das alljährlich im Herbst wiederkehrende Erntedankfest hat aus dieser Lebensfreude ein tatsächlich sehr altes Brauchtum entstehen lassen. In den heute noch bestehenden Formen wird nach wie vor die Dankbarkeit der Menschen zum Ausdruck gebracht, sie enthalten aber auch zugleich die Bitte um Wachstum und Gedeihen für das nächste Jahr.

Der Brauch des Erntedankfestes war stets verbunden mit der Freude, die schwere Arbeit am Feld endlich einstellen zu können, und dieser Dankbarkeit für die reiche Ernte. Zumindest bis in die 1960er Jahre, denn damals setzte eine Diskussion um die Sinnhaftigkeit dieses Brauchtums ein. „Die Feier des Erntedankes ist in eine Krise geraten. Zunächst einmal wohl deshalb, weil die Formen und der Inhalt unserer Erntedankfeier weitgehend einer Zeit entstammen, die es längst nicht mehr gibt.“ Mit diesen und ähnlichen Feststellungen wurde von der Kirche ein Nachdenkprozess in Gang gebracht. Das Verständnis für dieses herbstliche Fest wurde umfassender. „Es mögen sich manche Formen des Erntedankes überlebt haben, das Entscheidende sind nicht die Formen, sondern der Geist, aus dem heraus wir Erntedank feiern. Wenn dieser Geist echt und stark ist, werden sich alte Formen mit neuem Sinngehalt füllen und wieder lebendig werden.“ So wurde das Brauchtum rund um den Erntedank belebt, der sich ja seit alters her in ein christliches Fest und ein weltliches Vergnügen aufgeteilt hat.


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